Coworking auf Gran Canaria

27. Januar 2014

Um dem kalten deutschen Winter zumindest für ein paar Wochen zu entfliehen und eine andere Perspektive aufs Daily Business zu bekommen, nistete ich mich in einem Coworking Space in der Hauptstadt der Kanareninsel Gran Canaria ein. Selten habe ich in so kurzer Zeit so viele interessante Menschen kennengelernt.

Viele, die „was mit Internet machen“, können weitgehend ortsungebunden arbeiten. Besonders einfach haben es Selbständige, aber auch immer mehr Angestellte können zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice oder an anderen Orten außerhalb des Büros verbringen.

Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob man 40 oder 4.000km weg ist. So weit ging es für mich in den Süden, ich arbeitete zwei Wochen im Surf Office in Las Palmas de Gran Canaria, im Grunde genommen ein Coworking Space mit angeschlossenen Appartments. Bezahlt habe ich 300 Euro pro Woche für einen Arbeitsplatz plus Einzelzimmer sowie 158 Euro für die Flüge von/nach Hannover (plus 60 Euro für Sitze mit extra Beinfreiheit, bei 5-Stunden-Flügen und 189cm Körpergröße in meinen Augen jeden Cent wert).

Die Stadt

Strandpromenade von Las Palmas (2 Fußminuten vom Surf Office)

Strandpromenade von Las Palmas (2 Fußminuten vom Surf Office)

Las Palmas ist mit knapp 400.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt der kanarischen Inseln und vergleichsweise untouristisch. Das dortige Subklima beinhaltet viele Wolken und starke Winde und ist für Badeurlauber damit denkbar ungeeignet (die gehen eher in den Süden der Insel), für Surfer hingegen optimal. Der Stadtgröße entsprechend gibt es eine gut ausgebaute Infrastruktur und eine durchaus lebendige Startup-Szene.

Das Surf Office

Blick in mein Surf-Office-Zimmer

Blick in mein Surf-Office-Zimmer

Das Surf Office wurde im vergangenen Sommer vom Slovaken Peter Fabor (Twitter) gegründet, der im Hauptberuf UX-Designer beim tschechischen Antivirus-Spezialisten Avast ist und nicht zuletzt des Surfens wegen nach Gran Canaria zog. Das Interesse am „Arbeiten unter Palmen“ ist groß – Peter muss immer wieder Buchungsanfragen ablehnen, eine räumliche Vergrößerung steht weit oben auf der Agenda.

Die Besucher des Surf Office sind bunt gemischt. Neben Peter lebten und arbeiteten in meiner Zeit zwei tschechische Programmierer (überhaupt ist Las Palmas voll von Tschechen), drei deutsche SEOs (!) und eine holländische Texterin im Coworking Space. Der Mix steht wohl auch ganz gut für die Art von Berufen, in denen man es sich leisten kann, ein paar Wochen oder auch Monate remote zu arbeiten.

Arbeiten

Die Atmosphäre im Coworking Space war sehr konstruktiv. Es wurde ruhig und konzentriert gearbeitet, mehr noch als ich es in den Großraumbüros meiner bisherigen Anstellungen erlebte. Wenn man sein eigener Chef ist oder zumindest rein ergebnisabhängig arbeitet (und in sofern die eigene Produktivität und nicht etwa starre Arbeitszeiten entscheiden, wann das erste Bier aufgemacht werden kann), ist die Arbeitsmotivation eben doch eine andere. Mein eigener Tagesablauf sah so aus, dass ich nahezu jeden Morgen Surfen gegangen bin und dann von circa 12:00 Uhr bis 20:00 Uhr gearbeitet habe. Abends ging es dann meist raus auf Events, Partys oder auch nur ein Pilsbier, aber auch die Nacht wurde schon einmal zum Arbeitstag gemacht. Einmal habe ich um 2:00 Uhr Feierabend gemacht und war damit noch nicht einmal der letzte im Coworking Space (einer der deutschen SEOs hat einmal um 5:30 Uhr den Rechner heruntergefahren). Keine Frage: „Urlaub“ ist was anderes.

Networking

Auf verschiedenen Events und Ausflügen lernte ich außerdem unter anderem einen italienischen Aufreißkünstler und einen tschechischen Freelancer-Netzwerk-Betreiber (mein temporärer Tennis-Partner) kennen, die den gesamten Winter in Las Palmas verbrachten. Dabei kam es naturgemäß zu einem umfangreichen fachlichen Austausch, der für mich im Bezug auf Geschäftsentwicklung und SEO-Expertise sehr fruchtbar war – als „Consulting-Stunden“ hätte ich dafür locker einen vierstelligen Betrag berappen müssen und hätte wahrscheinlich weit oberflächlicheres Wissen vermittelt bekommen. Viel Wert ist es in meinen Augen, dass Peter mit seinem Coworking Space schon ein gewisses lokales Standing hat. So nahm er uns zu einem Startup-Abend mit und konnte bei einer Rooftop Party auch spanische Unternehmer begrüßen. Andere Konzepte wie das Sunny Office oder das Project Getaway setzen auf wechselnde Locations, dabei fällt die lokale Verankerung und entsprechende Vernetzung natürlich eher unter den Tisch.

Die Zeitfrage

Mein Arbeitsaufenthalt war mit zwei Wochen (12.-26.01.) eher kurz. Das lag zum einen daran, dass hier wichtige Termine auf mich warteten – am heutigen Montag bekam ich die Schlüssel für mein neues Büro übergeben -, zum anderen war ich mir unsicher, wie produktiv und konstruktiv ich „drüben“ sein würde. Im Endeffekt haben sich Bedenken in diese Richtung wie gesagt als unbegründet herausgestellt, trotzdem empfand ich die zwei Wochen in dieser Form als optimal. Ein längerer Aufenthalt wäre mit einigem zusatzlichem Aufwand verbunden (Zwischenmieter für die Wohnung, Handling der Post etc), außerdem schränkte mich doch das Setup ein wenig ein – auf einem Macbook-Display bekommt man nun einmal nicht so viel zu Gesicht wie auf einem 27″ Monitor.

Wandmalerei in Las Palmas.

Wandmalerei in Las Palmas.

Für 1-4 Wochen halte ich das Surf Office für optimal, das Preis-Leistungsverhältnis ist exzellent und durch das Arbeiten Notebook an Notebook mit Gleichgesinnten entstehen die Kontakte quasi von alleine. Für einen längeren Aufenthalt (3-6 Monate) würde ich mir aber ein eigenes Appartment nehmen, um mich entsprechend individueller ausbreiten zu können. Bei längeren Remote-Zeiten nicht zu unterschätzen ist außerdem die Sprachbarriere – erstaunlich wenige Spanier können sich in englisch ausdrücken, das hätte ich doch anderes erwartet (durch mein halbes Jahr in Venezuela kam ich trotzdem halbwegs zurecht). Im touristischen Süden Gran Canarias sieht das natürlich anders aus, in meinen Augen ergibt es aber aus vielen Gründen Sinn, in eine „richtige“ Stadt zu gehen, gerade wenn der Aufenthalt länger andauern soll.

8 responses to Coworking auf Gran Canaria

  1. Eigentlich müsste ich als Germane einen natürlichen Urinstinkt von Neid spüren. Aber stattdessen finde ich es einfach nur Klasse, so etwas zu lesen. Dies bestärkt mich weiter dahin, dass es wirklich einfach ist weltweit zu arbeiten (je nach Wetter und Temperaturlage :)

    Danke für deinen tollen Bericht. Und kennst du noch andere internationale Coworking Plätze in den wärmeren Gefilden von Europa?

    • Danke fürs Lob. Mehr internationale Coworking Plätze kenne ich nicht, hab da aber auch nicht weitergehend recherchiert.

  2. Hey Johannes, schön liest sich das!

    Mich freut total, dass du dir diesen kleinen Traum im Alltag verwirklicht hast. Bleib dran, arbeite dich bloß nicht in Hannover fest :) ich hoffe du machst mit deinem Beitrag noch vielen anderen Mut so etwas zu wagen. (und entschuldige bitte meinen unqualifizierten Beitrag hier den ich besser auf facebook posten sollte ;) )

    Grüße aus Argentinien!

  3. Jupp, well done! Das ist ein schöner Auszug wie die digitale Wirtschaft funktioniert/ funktionieren kann. Und es inspiriert mich, dass/ ähnliches zu tun, obwohl das Agenturgeschäft im Alltag versucht zu suggerieren das ginge nicht. Thanks for inspiration ;o) Ralf

  4. Hi Johannes,
    Thx für die Insights.
    Die Bewegung der digitalen Nomaden nimmt Fahrt auf.
    Wobei viele digitale Selbstständige selber noch gar nicht wissen dass sie beste Voraussetzungen haben ortsubabhängig zu arbeiten.

    Im Mai veranstalten wir in Berlin die erste Konferenz zum Thema „Digitale Nomaden“.

    Beste Grüße aus Guatemala
    Marcus

  5. Ein anderes Holländische texterin hier, ich hoffe du verstehst mein Deutsch ;-)
    Ich war auch einige Wochen am Gran Canaria, für Arbeit & Urlaub. Ich hatte auch gern im Surf Office arbeiten, es war aber zu teuer fur mich. Ich was aber in ein Surf Hostel und habe einige tage bei co-working Las Palmas gearbeitet: http://www.coworkinglaspalmas.com/
    Später war ich bei Sunny Office: http://www.sunny-office.com/.
    Vielleicht ist das ach was für dich?

    Richtig cool wieder einige Foto’s vor Las Palmas zu sehen (Ich was einigen Tagen im Süden: schrecklich!) und etwas über Surf Office zu lesen. Vielleicht nächtses Jahr!

  6. Hallo,

    es gibt seit kurzem auch ein Coworking im Sueden Gran Canarias wo man sich ein Space mieten kann oder auch Meetingraeume. Schaut mal rein. Uebrigens Badesaison ist dort das ganze Jahr wenn man also mal kurz zwischendurch zum Strand will.

    http://www.coworkingmaspalomas.com

    LG

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  1. Ich bin gerne freier Journalist, ich nutze nur viel zu wenige von meinen Freiheiten | Jürgen Vielmeier - 11. Juni 2015

    […] Schaue ich mir an, was Kollegen von mir machen, bekomme ich regelmäßig Fernweh. Timo und auch Johannes Haupt haben mal zwei Wochen von Gran Canaria aus gearbeitet, Jan Tißler pendelt unregelmäßig zwischen […]